Magazin Reiseberichte

Reise nach Rumänien, Teil 2, Vater fährt

Reisebericht von Wolfgang Rill    



Schon in Budapest die ersten Probleme mit dem Weg. Soll es nach Szeged gehen oder doch nach Szolnok. Vater studiert die Karte, gibt aber bald auf. Die Grenze war „anstrengend“ und hat den Rest aus der Schnapsflasche von gestern das Leben gekostet.

Schon in Budapest die ersten Probleme mit dem Weg. Soll es nach Szeged gehen oder doch nach Szolnok. Vater studiert die Karte, gibt aber bald auf. Die Grenze war „anstrengend“ und hat den Rest aus der Schnapsflasche von gestern das Leben gekostet.

Sein vernebeltes Hirn kann mit diesen bunten Nest aus Linien auf dem Papier nichts mehr an-fangen.

Wir entscheiden uns für Szeged und das führt uns immerhin aus der Stadt hinaus. Aber was macht man, wenn plötzlich ein Wort wie Hodmezovasarhely auf einem der spärlichen Schilder auftaucht? Ein Wort, dessen Anfang man schon vergessen hat, wenn man das Ende liest. Opa meint, er kennt sich aus, und sagt hin und wieder hier links oder dort rechts.

Das Land ist flach und eintönig. Es ragen lange Stangen, an denen Eimer hängen, schräg in den Himmel. Pusztabrunnen. Es kommt ein Hinweis auf Törökszentmiklos. Nie gehört. Keiner im Wagen hat das je gehört. Fahren wir da hin? Auf der Karte finde ich es nicht. Wir haben nur eine Karte mit großem Maßstab. Von Onkel Hans haben wir einen Zettel mit Ortschaften, durch die wir kommen sollen. Da sind Namen dabei, die sind noch viel länger als Törökszentmiklos.

Wir scheinen noch richtig zu sein, immer nach Südosten. Inzwischen ist es später Nachmittag und die Sonne scheint.

Da sagt Vater: Jetzt lass mich mal fahren. Bin schon ewig nicht mehr gefahren. Mal sehen ob ich´s noch kann. Aber … sagt Mutter. Vater schneidet ihr das Wort ab. Nach einem Führer-schein fragt hier doch keiner. Die wissen gar nicht, was das ist. Alle im Auto glauben es oder wollen es glauben. Lass ihn halt, Walter, gibt Mutter nach. Wir halten am Straßenrand, mein Vater setzt sich hinter das Steuer.

Ich beobachte ihn. Er ist ein langes Knochgerüst, seit er Magenkrebs hatte, kraftlos und zitt-rig. Sein Kopf ein Totenschädel mit Haut darüber. Und er hat diesen glasigen Blick, der bei ihm schon nach ein, zwei Stamperl eintritt. Stamperl nennt er einen Schluck Schnaps, eigentlich ein Gläschen, seit er auf dem Weg in die Heimat ist. Mir krampft sich der Magen zusammen. Merkt denn hier keiner etwas?


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Zum Glück ist die Straße gerade. Fahr langsam, sage ich. Die anderen verfallen in ihre dumpfe Reiselethargie, aber ich bin hellwach. Da vorn ein Heuwagen, vermutlich mit einem Pferd davor. Ich habe zwar noch keinen Führerschein, aber schon ein Gefühl für Bremswege. Vater vermindert die Geschwindigkeit nicht. Er hält mit Tempo neunzig auf den Heuwagen zu, der sich im Schritttempo bewegt. Der Abstand wird rasend kleiner.

Ich warte noch einen Moment, dann schreie ich: Brems! Als sei er gerade aufgewacht bremst Vater scharf. Alles im Auto rutscht nach vorn, die Thermoskanne poltert, unten splittert die leere Schnapsflasche, ein Sunilpaket kracht Oma in den Nacken. Wir kommen knapp hinter dem Heu zum Stehen. Der Motor ist abgewürgt. Überholen hätten wir nicht können, es kamen Autos ent-gegen. Vater sieht es ein, alle sehen es ein: Walter muss wieder hinters Steuer.

Impressionen aus Faked, Ungarn
Gegen Abend verfahren wir uns endgültig.

Später, viel später erfahre ich, wo es gewesen sein muss. Man muss nämlich nicht weit von der Grenze rechts abbiegen, dort wo die Straße parallel zur Grenze verläuft. Wir sind wohl ge-radeaus gefahren, weil es schon dunkelte.

Nach dreißig Kilometern sagt Walter: Die Grenze müsste längst da sein. Niemand hat ein Schild mit „Oradea“ oder „Romania“ gesehen. Später erfahre ich: Es gibt keins. Ungarn und Rumänen sind sozialistische Brüder aber nicht Freunde.

Ein rumänischer Ortsname auf einem ungarischen Straßenschild ist nicht denkbar. Es wird wohl einen Hinweis gegeben haben, auf dem der ungarische Grenzort verzeichnet ist. Aber der hat einen Namen, der unser ermüdetes Auffassungsvermögen um einiges überragt.

Wir fahren in die Nacht.

Umdrehen, befiehlt Vater, der sich nüchtern geschlafen hat. Wir drehen um, halten nach zwanzig Kilometern an. Opa erhält den Auftrag in einem öden Dorf den einzigen Passanten zu fragen, wo es zur Grenze geht.

Der Passant ist ein alter Mann, fast so alt wie Opa. Zunächst schreit Opa einige Sätze aus dem Fenster. Der Mann antwortet langatmig, zeigt in Fahrtrichtung, dann in die Gegenrichtung dann macht er Handbewegungen, die links ab oder rechts ab bedeuten können.

Wo geht es nun lang, Opa?

Weiß nicht.

Plötzlich steigt Opa aus. Die beiden unterhalten sich neben dem Auto. Der alte Passant taut auf. Immer angeregter wird die Unterhaltung, sie werden anscheinend gute Freunde. Beide ha-ben eine dicke schwarze Joppe an.

Opa, komm zurück ins Auto. Wir müssen weiter!

Widerwillig verabschieden sich die beiden draußen, dann sitzt Opa im Auto.

Na, wo geht´s also lang?

Er war im Krieg auch in Galizien, wie ich, sagt Opa glücklich. Gemeint ist der erste Krieg. Und wo geht´s lang? Opa starrt dem Mann nach, sinniert eine Minute vor sich hin. Weiß nicht, hab´s vergessen, sagt er dann.

Die Szene wiederholt sich. Mit jedem Menschen, den wir neben der Straße auftreiben kön-nen, ein langes Gespräch. Opa ist glücklich, ungarisch sprechen zu können und vergisst alles.

Mutter schreit auf. Zum Donner! Kannst Du Dir nicht mal merken, was die sagen?

Wie gehst Du denn mit Opa um! fragt Oma laut.

Walter schaltet sich ein, will schlichten. Nach zwei Minuten brüllt er auch: Lasst meinen Va-ter in Ruhe! Danach brüllt das ganze Auto. Zum Schluss am Straßenrand, eine jüngere Frau, die gebrochen Rumänisch kann.
Walter steigt aus und lässt es sich erklären. Wir müssen umkehren, zweimal abbiegen, etwa noch siebzig Kilometer, dann kommt die Grenze.

Es stimmt. Aber inzwischen ist es nach zehn Uhr. Um diese Zeit wollten wir weit hinter Klausenburg sein. Von der Brüllerei auf den letzten Kilometern sind alle heiser, ich auch, und sehr müde.

Die Grenze.

Wir rollen auf einen hell erleuchteten Betonstreifen zwischen zwei Baracken zu, sind jetzt seit zwölf Stunden unterwegs. Es ist wenig los.

Eben verlässt weit vorn ein Auto die Kontrolle und fährt nach Rumänien hinein. Drüben ste-hen zwei Lastwagen, der erste wird gerade kontrolliert. Wir sind allein im Neonlicht. Es dauert eine ganze Weile, bis sich ein Grenzer dem Wagen nähert.

Kurzer Blick in die Pässe. Er winkt uns durch. Es ist der ungarische Zoll. Nach fünfhundert Metern sind wir am rumänischen Zoll und stehen auch dort allein im Neonlicht, wieder zwischen Baracken. Wieder dauert es, bis jemand erscheint, diesmal noch länger.

Der Wagen vor uns ist nicht mehr zu sehen. Aus dem Holzhaus links kommen zwei Zöllner. Walter reicht dem einen die Papiere aus dem Seitenfenster, während der andere interessiert die Ladung begutachtet und dann hoch zum Dach auf unsere Plane schaut.

Der erste blättert ausdauernd in den Pässen. Dann sagen die beiden etwas zueinander. Es ist warm. Fliegen surren ins Auto. Walter und der Passkontrolleur reden Rumänisch. Nur Mutter und ich verstehen nicht, was gesagt wird.

Plötzlich stöhnt Oma auf. Alle müssen aussteigen, sagt sie.

Wir sollen aussteigen, sagt Walter. Alle? Ja, alle. Wir stehen als ratloses Häuflein neben dem Auto. Beide Grenzer sind mit den Pässen wieder in der Baracke verschwunden. Es dauert, dau-ert.

Was brauchen die so lange, stöhnt Mutter.

Halt die Klappe, murmelt Onkel Walter ungewöhnlich grob und nachdrücklich. Mutter ist für einen Moment überrumpelt und hält die Klappe Walter erntet nur einen giftigen Blick,. Großva-ter schaut betreten auf den Boden, Oma auch.

Die kontrollieren jetzt, ob die Visums echt sind, sagt Vater fröhlich. Kein Problem.

Die Männer kommen wieder. Wagen öffnen. Wir öffnen die Heckklappe.

Auspacken!

Was?

Auspacken.

Wir sollen auspacken. Walter übersetzt es, aber wir verstehen die Gestik des Zöllners auch so.

Sind die verrückt geworden? Mutter kann sich kaum noch beherrschen.

Leise, zischt Walter.

Dann geht er dicht an den Uniformierten heran, der mehr Sterne und Winkel am Ärmel hat und bittet ihn offenbar ein paar Schritte zur Seite. Die beiden verhandeln.

Unverschämtheit, sagt Mutter. Wir werden doch nicht hier draußen mitten in der Nacht den ganzen Wagen … Wissen die überhaupt, was … Das sollen die selber … Kommt nicht in die Tü-te … Das können die nicht, diese …

Walter kommt zurück. Der Zöllner bleibt stehen und winkt seinen Kollegen zu sich.

Zweihundert, sagt Walter. Sie wollen zweihundert, dann können wir durch. Ohne Auspacken.

Zweihundert was? fragt Mutter.

Zweihundert Mark.

Die sind doch … die sind doch … Mutter schäumt und kann sich nicht mehr bremsen, sie zit-tert.

Na, dann packen wir besser aus, sagt Opa.

Ich gehe zur Heckklappe, öffne sie und stelle zwei Persil Pakete auf das Pflaster. Oma kommt heran und will helfen. Da geschieht mit Mutter das, was man heute „ausrasten“ nennt.

Sie kreischt auf, rennt zum Wagen, packt ein Paket, tritt zurück, hebt das Paket über den Kopf, rennt auf die Zöllner zu und schmeißt das Paket mit Wucht auf den Boden, den Zöllnern vor die Füße. Anschließend sackt sie zusammen und weint. Das Paket ist aufgeplatzt, Pillendös-chen rollen heraus. Es ist das mit den Medikamenten.

Die Zöllner gucken verdutzt aber zum Glück auch etwas amüsiert.
Sie treten einen Schritt zurück. Schnell ist Walter bei ihnen. Er will sich entschuldigen, ver-handeln, das sieht man. Die beiden lassen auch trotz allem mit sich reden.

Aber es bleibt dabei: Zweihundert pauschal oder auspacken und dann, wenn der Zoll im Ein-zelnen berechnet ist, wahrscheinlich sogar mehr.

Vater bugsiert Mutter in den Wagen.
Wir fahren zurück! schreit sie hysterisch aus dem Seitenfenster.
Ich wollte sowieso nie zu den verdammten Kommunisten! Ihr wolltet in diesen Saustaat! Ihr seid schuld, nur ihr! Drecksland, das hier! Sie gibt keine Ruhe, ist gleich wieder draußen und wirft den Zöllnern hassvolle Blicke zu.
Das lassen wir nicht mit uns machen! Ihr wollt uns hier ausziehn! zetert sie. Und an uns ge-wendet: Soll arbeiten gehen, das Gesocks! Die denken, wir wären Millionäre!

Einstweilen nehmen sie es noch auf die leichte Schulter, sagt Walter leise zu Vater. Aber wer weiß, wie lange.

Mutter ist nicht zu beruhigen. Sie zittert und weint und schreit. Ich will aber in die Heimat, ruft Opa dazwischen.

Es hilft nichts: Um keinen noch größeren Eklat zu provozieren müssen wir zurück. Ich ver-staue die Persil Pakete, Walter räumt die Medikamente vom Pflaster, Heckklappe zu, alle in den Wagen und wenden. Die Ungarn fragen nur kurz und lassen uns wieder ins Land zurück.

Wir fahren nach Ungarn rein in die Nacht. Es ist kurz nach elf. Alle gereizt bis zum Fieber und hundemüde. Als sei es verabredet sagt niemand zum anderen: Du bist schuld.

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WolfgangRill